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Ausstellung "Aussaugen" (2006), Galerie Laura Mars Grp., Berlin
(Auszug aus Pressetext)

Wir freuen uns sehr, Sie am Donnerstag, den 30. März 2006 um 20 Uhr zu AUSSAUGEN, der ersten Einzelausstellung der Berliner Künstlerin Nadja Schöllhammer bei Laura Mars Grp. begrüßen zu können.

Das Spektrum von Nadja Schöllhammers Werk reicht von zart geschichteten Zeichnungen bis zu raumgreifenden Wandarbeiten, Papierobjekten und Rauminstallationen. Ausgangspunkt ihrer zwei- und dreidimensionalen Arbeiten sind Zeichnungen. Durch Schneiden und Einbrennen von Strukturen in Papier entstehen brachiale Löcher und feinste Gespinste. Aus zarten Linienzeichnungen schneidet sie mit dem Skalpell filigrane Gebilde, die sie auf die rohe Wand montiert und im Raum zu metamorphotischen Bildkörpern vernetzt. Ihre Ideen schöpft sie aus privaten Erlebnissen, Reisen wie jüngst nach Mexiko und einem allgemein zugänglichen, von Medien und kulturellen Mythen gespeisten Bilderreservoir. Dabei verbinden sich Fragmente aus Massenkultur und Kitsch mit Darstellungen von Gewalt und Lust. Zartes und "Niedliches" kippt in hintergründig Bedrohliches um, vermeintlich Harmloses entwickelt zersetzende Kräfte und attackiert die Sinne des Betrachters.

Der Begriff des "Aussaugens" ist mit dem Eindringen in fremde Körper assoziiert, mit dem osmotischen Kreislauf von Geben und Nehmen. Das Andocken an andere Subjekte und Systeme kann auf vielfältige Weise erreicht werden: von der embryonalen Symbiose bis zu parasitären Verhältnissen in Beziehungen und in politischen Kontexten. In Schöllhammers Ausstellung formiert sich ein archaisches Begehren nach Einverleibung. In papiernen Schichten, Schnitten, Spritzspuren und Einbrennungen wird Irrationales und Triebhaftes sichtbar. So scheinen sich Ströme aus den Mundlöchern der surrealen Papierwesen zu ergiessen, die sich in kollektiven Formen miteinander verbinden und gleichermaßen die Grenzen zwischen Objekt und Subjekt auflösen.
Rauminstallation "Stigmata Spa" (2005), Bunker Treptow, Berlin
(Werkstatement)

In meiner Rauminstallation "Stigmata Spa" im Rahmen der Gruppenausstellung "Der Freie Wille", 2005 in einem Bunkerraum im Bunker Treptow, Berlin, erforsche ich die Bildwelten kultureller Phantasien über Märtyrerfiguren aus christlichen Heiligenlegenden bis hin zu islamischen Selbstmordattentätern und Folterskandalen.

Mittels Rauminstallation/Raumzeichnung vernetze ich in "Stigmata Spa" Märtyrerphantasien und -Imagines zu einer begehbaren Bildwelt, die den Betrachter jenseits rational vermittelter Begriffe sinnlich involviert und den Subtext dieser Mythen körperlich erfahrbar macht. Papierne Bildzitate aus der medialen Kriegsberichterstattung werden von Gewächsen durchbohrt und einem inszenierten Naturschauspiel einverleibt. Weiß gebleichte Äste bohren sich durch bombensichere Bunkerwänden und spießen unterschiedslos alles auf, was sich ihnen in den Weg stellt. "Stigmata Spa" ist eine filigrane, poetische Parallelwelt voller geläufiger Bösartigkeiten. Psychotische Figurenzeichnungen verarbeiten Medienbilder aus Folterskandalen wie z.B. in Abu Ghraib. Papiersoldaten schießen auf filigran geschnittene Menschenpyramiden, während sie selbst rücklings von Ästen durchbohrt werden.

Natur kennt im Gegensatz zum Menschen keine Moral. Doch auch bei historischen und medialen Gewaltdarstellungen geht es nur vordergründig um Moralität und Information. Die ständige Wiederholung archetypischer Gewaltbilder bewirkt, dass sich das "Gut" oder "Böse" verliert. An die Stelle moralischer Wertung tritt ein Verlangen nach der eigentümlichen Schönheit dieser Bilder.
Rauminstallation "Arena" (2004), Galerie momentum, Berlin
(Werkstatement)

Für meine Einzelausstellung "Arena" in den Galerieräumen von mometum habe ich die gleichnamige Rauminstallation entwickelt. In "Arena" erzeuge ich die Vision archaisch anmutender Kämpfe als Abbild privater und kollektiver Mythen. Sie handeln von den kleinen und großen Massakern, die fester Bestandteil unserer Alltagswahrnehmung sind.

Als mittelbar beteiligte Zuschauer stehen wir am Rand der großen medialen Arena, als unmittelbar Beteiligte sind wir in unsere eigenen privaten Kämpfe und Spiele verstrickt. Die emotionalen Module der Massaker, unsere ängste, unsere Träume und unser Hass, rekrutieren sich aus einem Fundus kollektiver Narrationen über Krieg, Eros und Tod. Bildsurrogate innerer und äußerer Gefechte verflechte ich im kreisrunden Ausstellungsraum zu einem vielschichtigen Bildkörper.

In antikisierenden Monumentalfilmen über römische Gladiatoren in der Arena gleicht der Moment, in dem der Löwe zum Sprung ansetzt, einer Ewigkeit: Die Erwartung, zerfleischt und verschlungen zu werden, ist eine morbide Form der Wiedervereinigung mit dem Vorrationalen, dem Unzivilisierten, dem wilden Tier. Wie im ewigen Moment des Umkreisens im Kampf sollen Zeitlichkeit und Dauer in meinen Arbeiten kondensieren. Vergängliche Augenblicke auf der Reise durch die Bildwelt will ich simultan und wiederholt erlebbar machen.

Archaische Momente des Fressens und Gefressens-Werdens formieren sich in papiernen Schichten und Ablagerungen. Zahlreiche Verwebungen saugen den Betrachter vom Makrokosmos in den Mikrokosmos der Papierkörper hinein, wollen ihn mit sanften Bissen verschlingen wie die Amazonenkönigin Penthesilea ihren Kampfesgegner und Geliebten Achilles.
Rauminstallation "Sekretariat" (2003), Staatsbank Berlin
(Werkstatment)

Meine Raumarbeit "Sekretariat" entwickelte ich im Rahmen des Musik,- Theater- und Installations-Gesamtkunstwerks "Pessoares" in der ehemaligen DDR-Staatsbank Berlin. Zugrunde lag das "Buch der Unruhe" von Fernando Pessoa, dessen Hauptfigur ein Buchhalter ist.

"Sekretariat" konzipierte ich für ein ehemaliges Mitarbeiterbüro der DDR-Staatsbank. Ein grellorangener Linoleumboden, der vielleicht dem Buchhalteralltag Pep verleihen sollte, dominiert den Raum. Ausgehend von der Vorstellung eines "Buchhaltertraums" erzeugte ich eine regelrechte Fußboden-Paranoia: Die Strukturen des Linoleums fanden ihre Fortsetzung in Anordnungen aus organischem Material.

Aus unzähligen handgeschnittenen, speziell geformten und getrockneten Orangenschalen, die ich miteinander vernetzte, baute ich bedrohliche bis paranoide Formationen und filigrane Architekturen. Die Zweidimensionalität des Fußbodens verwandelte sich in dreidimensionale Krabbeltiere, die in Schwärmen die Wände entlang zu huschen und aus dem Fenster zu fliehen schienen.

Der Bedeutungshorizont dieser begehbaren Rauminstallation reicht vom surrealen Traumbild bis zum Gleichnis für eine unheimlich anmutende Auflösung und Transformation einer gewohnten (Staats-) Ordnung. "Sekretariat" lässt sich jedoch nicht auf eine Lesart festnageln. Abseits möglicher Erklärungen wirkt die Installation durch unmittelbare Sinnlichkeit. Es war auch der überwältigende Geruch nach Orangen, der die Besucher unmittelbar berührte.
Rauminstallation "Herrenzimmer" (2003), Bunker Alexanderplatz, Berlin
(Werkstatement)

Im Rahmen der Ausstellung "Paradies" (kuratiert von Römer+Römer, 2003) im ehemaligen Luftschutzbunker unter dem Berliner Alexanderplatz, erarbeitete ich meine Rauminstallation "Herrenzimmer" in einem Katakombenraum. Besagter Bunker, ein unterirdisches Labyrinth, das während des Zweiten Weltkrieges Zigtausenden von Menschen als Zufluchtsort diente, war für viele Schutzraum, für einige wurde er zum Grab: Als Hitler 1945 beim Vorrücken der Sowjetarmeen das unterirdische System fluten ließ, um die Zugänge zu verwehren, fand man nach Abpumpen des Wassers Tausende von Leichen.

In "Herrenzimmer" erzeuge ich den klaustrophobischen Gegenentwurf einer Paradies-Vision in Form eines vor Jahrzehnten verlassenen Raumes. Ein Schreibtisch, eine altmodische Leselampe und ein muffiger Sessel sind stumme Zeugen imaginierter ehemaliger Bewohner. Durch perspektivisch verwirrendes Kippen der Möbel und überwuchern mit zeichnerischen Formationen aus organischem Material evoziere ich einen Schwebezustand zwischen Behaglichkeit und Beklemmung. Man glaubt, selbst Opfer der halluzinatorischen Wahrnehmungsveränderungen zu sein, wie sie von Eingeschlossenen bei Isolation von der Außenwelt erlebt werden.

Es spinnen sich Geschichten, die zum Vorschein kommen, wenn man unter die Oberfläche der offiziellen Geschichtsschreibung schaut. Es geht um die Frage nach Erinnern, Vergangenheit und Vergänglichkeit. Der Titel "Herrenzimmer" bezeichnet den Rückzugsraum des Patriarchen. "Herrenzimmer" assoziiert bürgerlichen Wohlstand unter dem Schutz des Familienoberhauptes, enthält aber auch süffisante Verweise auf die strategischen Herrenrunden zur Kriegsplanung.
Wandinstallation "Narziss" (2003), Helmut-Thoma-Preis UdK Berlin
(Werkstatement)

Meine Wandinstallation "Narziss" zeigte ich anlässlich des Helmut-Thoma-Preises für Malerei 2003 im Foyer der Universität der Künste Berlin. "Narziss" erzeugt ein Spannungsfeld zwischen unmittelbarer sinnlicher Wirkung und narrativen Elementen. Die ausgeschnittenen Strukturen, Zeichnungen und Raumgebilde scheinen aus der Wand zu wachsen. Sie wispern skurrile, grausame und betörende Geschichten.

Trotz der Vielfalt der Narration ist ein Fixieren der Bedeutungen nicht möglich. Zwar findet man Geschichten und wiedererkennbare Bildfragmente, bei denen man verweilen kann. Die Gegenbewegung dazu aber ist die Tendenz zum Sog; zum Sich-Verlieren im Dickicht. Beim Eintauchen in die Dreidimensionalität des Papiers und in den Mikrokosmos der Bildwelt entdeckt man immer wieder neue Bilder im Bild. Diese Binnen-Narrationen haben metamorphotischen Charakter. Sie flimmern, gehen ineinander über und scheinen sich beim Betrachten zu verändern.

Sie verhalten sich wie das Spiegelbild des Narziss: Die Spiegelung im Wasser suggeriert eine Auflösung der Ich-Grenzen, macht das Eigene zum Anderen. So verliert sich der Betrachter im Labyrinth der eigenen Wahrnehmung. Die Bildkörper entziehen sich, verwandeln sich immer wieder in andere Bilder, lassen sich nicht eindeutig festlegen. Sie sind durchscheinend und fragil wie Unterwassertiere und gleichzeitig lüstern-aufdringlich wie fleischfressende Pflanzen.

In ständigen Metamorphosen begriffen, übt die Gesamtheit der Bildgewebe eine Sogwirkung auf die Sinne des Betrachters aus und lässt die scheinbare Dichotomie von "Innen" und "Außen" vergessen. Meine Arbeiten erzählen von der Auflösung der Körpergrenzen und stellen damit auch die Frage nach den Konstruktionen "Natur" und "Kultur" - jedoch ohne diese Frage beantworten zu wollen.
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